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030

PISTE.DE

KULTUR

| INTERVIEW

Getrennte Verbindungen, fehlender

Kontakt zur Realität, unzusammen-

hängende Narrationen. Das neue

Album von Jan Blomqvist heißt Dis-

connected, spielt aber in einer Zeit, die

eigentlich bestimmt ist vomGegenteil,

vom „connected“ sein. Wir trafen Jan

Blomqvist zum Interview.

piste:

ImOktober erscheint dein zwei-

tes Album „Disconnected“. Es ist in

drei Teilen im Laufes des Sommers

veröffentlicht worden und erscheint

nun im Herbst als gesamtes Album.

Was war deine Intention hinter der

Veröffentlichung in drei Parts?

Jan Blomqvist:

Eigentlich sind es ja vier

Parts, wenn man das Album mitzählt.

Und diese vier Releases gibt es, weil

vier unterschiedliche Orte für das

Album wichtig sind. Wir haben die

Tracks in Island, Kalifornien und Berlin

produziert. Die Idee genau das zu tun,

also an unterschiedlichen Orten zu ar-

beiten, um zu sehen welchen Einfluss

die Umgebung auf Musik, Stimmung

und Lyrics hat, ist am vierten Ort, in

New York entstanden. Dort habe ich

auch die Ideen der beiden Tracks von

„Part Three“ skizziert. Außerdem bin

ich davon überzeugt, dass es parado-

xerweise auch mehr Sinn macht für

die Gewichtung der einzelnen Songs,

wenn man sie in mehreren Teilen re-

leased. Keiner der Tracks geht so

unter, keiner ist bloß Lückenfüller, wie

es bei einem Album leider oft der Fall

ist. Und wenn man sein Album schon

Disconnected nennt, dann spricht

nichts dagegen auch direkt ein Kon-

zeptalbum daraus zu machen. Lyrics,

Musik, Artwork… alles wurde zum

Thema Disconnected geschrieben. Ich

finde es perfekt, dass die vier Releases

nun auch „disconnected” erschienen

sind.

piste:

Du hast dein Album in verschie-

densten Locations auf der ganzen

Welt geschrieben, aufgenommen und

produziert. Wie haben dich diese

Spots inspiriert?

Jan Blomqvist:

Der größte Einfluss,

den die Arbeit an unterschiedlichen

Orten für das Album und sein Thema

hatte, war die Einsicht, dass das Dis-

connected-Sein an sich weder positiv

noch negativ zu werten ist, sondern

diese Wertung immer erst durch den

Ort entsteht, an dem man sich befin-

det. In der Einsamkeit Islands oder der

Wüste Kaliforniens ist man per se „dis-

connected“ und damit ist es auch nicht

mehr ganz so dringend erstrebens-

wert sich „disconnecten“ zu müssen,

wie es beispielsweise in New York

oder Berlin der Fall ist. Umgekehrt gilt

natürlich das Gleiche. „Disconnected“

sein kann sowohl (Er-)Lösung als auch

Fluch(t) bedeuten. Das war uns vorher

in dieser Tragweite nicht bewusst, ob-

wohl wir natürlich beides, also Vor-

und Nachteile, bereits voll und ganz

erfahren haben. Etwas leben und sich

dessen bewusst sein, das ist nicht das

gleiche. Um in Ruhe besonnen arbei-

ten zu können, ist es natürlich hilfreich,

wenn man Orte wählt, in denen man

völlig abgeschieden vom Stress und

der Schnelllebigkeit unserer Zeit ist.

Deswegen waren Island und die High

Desert in Kalifornien optimale Orte für

dieses Album. Nicht nur für dieses.

Vielleicht kehre ich auch irgendwann

dorthin zurück. Und Berlin und New

York sind die beiden Städte, die mich

weltweit mit Abstand am meisten in-

spirieren. Diesen Kontrast zur Sand-

bzw. Eiswüste fand ich und finde ich

immer noch sehr spannend.

piste:

Was möchtest du der digitalen

Generation mit „Disconnected”

sagen?

Jan Blomqvist:

: „Am Ende möchte ich

niemanden belehren. Ich weiß ja nicht

alles. Was ich allerdings weiß ist, dass

mich das Thema dieser neuen virtuel-

len Welt, die da neben dem anderen

Leben entstanden ist, sehr beschäftigt

hat und es auch immer noch tut. Es

hat lange gedauert, bis ich mich ein-

gefunden habe und einen Umgang

mit den neuen Arten der Kommunika-

tion und der komplexen, mehrschich-

tigen Verknüpfung in alle Richtungen

zu finden. Sich mit dem Thema zu be-

schäftigen und nicht völlig unbedarft

und unbedacht zu sein, ist vielleicht

das Einzige, das ich Menschen mit auf

den Weg geben möchte. Und wenn

ich das bei dem ein oder anderen

über das Album schaffe, dann freue

ich mich darüber. Am Ende muss aber

doch jeder seinen eigenen Weg fin-

den. Sorry, das ist sehr zen. So bin ich

eigentlich gar nicht. Aber am Ende ist

es aber doch wahr. Das Album soll

natürlich auch die Tücken unserer Zeit

widerspiegeln, das ist ja immer ir-

gendwie auch Anspruch eines Musi-

kers, denke ich. Ob das dann so

funktioniert und Jeder genau das ver-

steht, was das Album sagen will, ist

eine ganz andere Frage und soll auch

überhaupt nicht beantwortet werden.

Das Album hat viel zu erzählen ohne

sich zu wichtig zu nehmen, und es ist

jetzt vor allem erstmal da und es bleibt

für immer. Und Jeder kann damit ma-

chen was er/sie will. Den Gedanken

mag ich.

piste:

Wie hat sich dein Sound seit der

ersten EP auf Stil vor Talent zum aktu-

ellen Disconnected Album gewandelt?

Jan Blomqvist:

Stilistisch hat sich nicht

so viel verändert. Allerdings kommen

wir auf andere Art und Weise ans Ziel.

Wir produzieren mittlerweile fast aus-

schließlich analog. Das verändert na-

türlich den Sound. Der ist jetzt fetter als

vorher und mehr auf den Punkt. Und

es geht auch schneller. Wir müssen

nicht mehr ewig rumfrickeln bis wir zu-

frieden sind. Das ist zum einem dem

Equipment geschuldet, zum anderen

sind wir natürlich erfahrener. Wenn ich

Disconnected mit Remote Control ver-

gleiche, dann kann ich zusammenfas-

send sagen, dass sich das neue

Album insgesamt konzeptueller und

weniger experimentell anfühlt als

mein Debüt.

piste:

Muss man als Musiker heutzu-

tage ständig online sein und alles über

soziale Kanäle teilen?

Jan Blomqvist:

Diese Frage würde ich

ganz klar mit „Nein” beantworten.

Aber ich weiß, was du meinst. Es be-

steht ein großer Druck sich auf den

unterschiedlichen Kanälen darzustel-

len. Die Menschen, die deine Musik

hören, möchten dich kennen, möch-

ten Teil an deinem Leben haben. Das

ist zwar eine Illusion, aber auch die

muss man irgendwie bedienen. Da

die Balance zu finden zwischen dem

Musiker, der der Erwartung von außen

gerecht werden muss und dem Men-

schen, der ich privat bin und der we-

niger gern Lebensdetails nach außen

trägt, ist eine Aufgabe, die mir teil-

weise immer noch schwerfällt. Es er-

scheint mir deutlich einfacher, wenn

man sich ein Künstler-Ich zulegt, dass

sich sehr deutlich von dem eigentli-

chen Ich unterscheidet. Aber das ist

auch ziemlich schizo und am Ende

nicht authentisch. Ich habe auch die

Hoffnung, dass gerade Authentizität

am besten ankommt und die Men-

schen trotz der Verzerrungen, die die

Weiten des www mit sich bringen,

checken, was authentisch ist und was

nicht.“

JAN BLOMQVIST

DISCONNECTED