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PISTE.DECITY NEWS
| PISTE PERSÖNLICH
DU HAST IN DIESEM JAHR MIT „THEATER DER WELT“ BEREITS EIN
GROSSES FESTIVAL HINTER DICH GEBRACHT, DORT GEHÖRTEST DU
ZU DEN VIER KURATOREN. NUN STEHT DAS SOMMERFESTIVAL VOR
DER TÜR.
Wir haben lange diskutiert, wie wir damit umgehen. 2017 ist für Hamburg
ja ein richtiges Kulturjahr. Die Eröffnung des Konzerthauswunders am Hafen,
der Kunstverein feiert 200 Jahre Jubiläum, das Planetarium feiert Jubiläum,
die HFBK hat 250sten Geburtstag, der Golden Pudel Club soll wieder eröff-
net werden – uns war also klar es wird ein sehr dichtes Jahr. Dann kam noch
das Thalia Theater mit der Idee, das Theater der Welt nach Hamburg zu
holen. Die Frage war also, was machen wir mit dem Sommerfestival – wird
es kleiner oder vielleicht gerade größer, oder machen wir es in einer ganz
anderen Stadt? Hier bei uns im Haus haben eigentlich alle recht schnell
gesagt, dass niemand verstehen würde, wenn wir im Sommer auf einmal
kein Festival mehr machen würden. Insofern war es eher ein Ansporn, ein
richtig gutes Sommerfestival zu machen.
ALS KURATOR IST ES DEINE AUFGABE VIEL ZU REISEN UND DIR VIELE
STÜCKE AN ZU SCHAUEN. FIEL ES DA MANCHMAL SCHWER, EINE
ENTSCHEIDUNG ZU TREFFEN, WELCHES STÜCK BEI WELCHEM FESTI-
VAL LÄUFT?
Die letzten zwei Jahre bin ich in der Tat sehr viel gereist, entweder für das
Theater der Welt oder das Sommerfestival. Wir haben dann einfach
geguckt, was macht wo für welches Festival Sinn. Klar gab es auch Produk-
tionen, bei denen wir uns entscheiden mussten, aber meist war uns schnell
bewusst was zu welchem Festival passen würde. Das Sommerfestival hat
beispielsweise einen viel stärken Fokus auf die Gegenwart. Es zeigt die
Schnittstelle von unterschiedlichen Kunstformen zur Popkultur.
WIE WÜRDEST DU DEN BESONDEREN CHARAKTER DES SOMMER-
FESTIVALS BESCHREIBEN?
So ein Festival bekommt natürlich seine Identität auch dadurch, dass es ein
paar Kontinuitäten gibt. Beispielsweise wiederkehrende Künstler, deren
Weg man verfolgen kann. Durch unsere Eigenproduktionen sind wir inzwi-
schen sogar zu so etwas wie einer Absprungrampe geworden. Es kommt
immer häufiger vor, dass Inszenierungen nach unserer Premiere auf Tour
gehen. Das gibt dem Festival eine gute Energie und den Künstlern im posi-
tivsten Sinne eine Nervosität. Auch das Publikum weiß, dass wir alles andere
als ein abgesichertes Festival sind. Die Suche nach neuen Ausdrucksformen
bedeutet immer wieder ein hohes Risiko einzugehen. Eine gewisse Radikali-
tät wird also immer von uns erwartet.
GIBT ES EINEN ROTEN FADEN, DER SICH DURCH DAS PROGRAMM
ZIEHT?
Es gibt ein dichtes Netz aus Verbindungen zwischen den Produktionen und
unserem Thema, dass sich durch das Festival zieht. In diesem Jahr beschäfti-
gen wir uns mit dem Einfluss von digitalen Medien auf aktuelle Politik. Den
Eingriff der Kunst in die politische Zeichensprache versuchen wir zum Bei-
spiel mit Juan Dominguez zu zeigen. Der Mann ist die kompletten drei
Wochen hier und macht jeden Tag eine andere Aktion im Festivalgarten. Da
geht es um die Vermischung von Entertainment und Politik, von Realität und
Fiktion. Da passte dann auch Forced Entertainment ideal rein. Die Arbeit
zeigt eine Gameshow-Hölle und ist ein ganz starkes Bild für das, was aktuell
in der Politik passiert. Die Performance-Szene spielt ja traditionell mit der
Vermischung von Realität und Fiktion. Pensotti passt da auch total super, weil
er sich mit der Frage auseinandersetzt, was ist jetzt 100 Jahre später eigent-
lich aus den Idealen der Revolution von 1917 geworden. Eine spannende
argentinische Familiengeschichte.
WAS WÜRDEST DU FESTIVAL-NEULINGEN EMPFEHLEN?
Das Eröffnungsstück von der Michael Clark Company wird jedem Ballettfan
Freude machen, aber auch alle Pop-affinen Menschen mitnehmen. Michael
Clark verbindet klassisches Ballett mit Pop- und Punk-Kultur, bei uns mit Musik
von Patti Smith und David Bowie. Und gleich einen Tag später, am 10.
August, zeigen wir die Uraufführung des großen Anarcho-Puppenmusicals
THE 2ND SEASON des Kanadiers Socalled, bei dem der wahrscheinlich
weltbeste Funk-Posaunist Fred Wesley mitspielt: ein großer, durchtriebener
Spaß für alle!
kampnagel.deANDRÁS
SIEBOLD
LEITER DES INTERNATIONALEN
SOMMERFESTIVALS KAMPNAGEL
Als András Siebold 2013 das Sommerfestival als künstlerischer Leiter von Matthias von Hartz übernahm, hatte er vor allem das Ziel, ein genreüber-
greifendes Programm zu kreieren. Konzerte sollten gleichberechtigt mit Tanztheater, Performance und auch Kunstinstallationen nebeneinander
stehen. Das ist ihm gelungen. Beim Sommerfestival kann man herrlich vom Konzert kommend in einem spannenden Tanztheaterabend landen und
beim Bierchen im Festivalgarten plötzlich über eine überraschende Performance stolpern. Siebold wurde 1976 in Zürich geboren. Seit 2007 war
er leitender Dramaturg auf Kampnagel, davor an der Staatsoper unter den Linden. Vorher arbeitete er bereits mit verschiedenen bildenden Künst-
lern und Theatermachern wie Robert Wilson oder Jonathan Meese zusammen.