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PISTE.DECITY NEWS
| PISTE PERSÖNLICH
MICHEL
ABDOLLAHI
DU HAST IM MAI DEN GUSTAF GRÜNDGENS PREIS GEWONNEN,-
MIT DEM PERSÖNLICHKEITEN AUSGEZEICHNET WERDEN, DIE-
DURCH IHR LEBENSWERK EINEN BEDEUTENDEN BEITRAG ZUR DAR-
STELLENDEN KUNST IN HAMBURG GELEISTET HABEN. WARST DU
ÜBERRASCHT?
Nein, ich finde das sogar sehr logisch. Im Bereich der Poetry Slams gehöre
ich mit 35 Jahren schon der älteren Generation an, da finde ich es schön,
für sein Lebenswerk ausgezeichnet zu werden.
ALS IHR MIT DEM KAMPF DER KÜNSTE ANGEFANGEN HABT, WAR
ES NICHT GERADE ÜBLICH, DASS POETRY SLAMS IN DEN GROSSEN
THEATERHÄUSERN STATTFINDEN. WIE KAM ES DAZU, DASS IHR AUF
BÜHNEN WIE DER DES SCHAUSPIELHAUSES, DES THALIA THEATERS
ODER DER DES ERNST DEUTSCH THEATERS GEKOMMEN SEID?
Als wir angefangen haben, waren die Zeise Hallen immer sehr schnell voll.
Das Schauspielhaus ist irgendwie auf uns aufmerksam geworden und hat
uns gefragt, ob wir die Veranstaltung auch auf der Großen Bühne zeigen
könnten. Klar konnten und wollten wir. Das Haus war direkt ausverkauft und
unser Slam hat obendrein für ein jüngeres Publikum gesorgt.
UND DU WURDEST ZUM MODERATOR ODER CONFÉRENCIER DER
SLAMS. WAR DAS AUCH DER GRUND, WARUM DER NDR AUF DICH
AUFMERKSAM WURDE?
Fernsehangebote hatte ich schon häufiger, aber es war nie etwas wirklich
Interessantes dabei. Dann kam das Kulturjournal auf mich zu. Die suchten
etwas Neues und so wurde ich zum Sonderreporter für kulturelle Anlässe,
der zu den Menschen hingeht, sich mit ihnen unterhält und sie nach ihrer
Haltung zu bestimmten Themen befragt. Auf der Bühne suche ich ja auch
gerne den Kontakt zu den Menschen, also passte das.
IN DEINEN FERNSEHREPORTAGEN MACHST DU NIE EINEN BOGEN
UM MENSCHEN MIT EINER ANDEREN WELTANSCHAUUNG, SON-
DERN KONFRONTIERST SIE DIREKT MIT DEINEN FRAGEN, AUCH
WENN DU DICH ZUM BEISPIEL FÜR EINEN MONAT IN EINEM NAZI-
DORF EINQUARTIERST...
Ich bin von Anfang an mit einer Aufgabe auf die Menschen zugegangen.
Zum Beispiel bin ich auf eine Nazidemo gefahren, um mich direkt mit den
Teilnehmern zu unterhalten. Ich wollte nicht von außen zuschauen, sondern
mitten rein. Ich möchte keine Antwort vorgeben, sondern es dem Zuschauer
selbst überlassen, darüber nachzudenken. Die Menschen vor Ort selbst
reden zu lassen, ist dabei immer am aufschlussreichsten.
HAST DU MANCHMAL EIN MULMIGES GEFÜHL, DICH SOLCHEN
SITUATIONEN AUSZUSETZEN?
Ich habe festgestellt, wenn ich positiv auf die Menschen zugehe, bekomme
ich zumindest eine Antwort. Die muss natürlich nicht zwangsläufig positiv
ausfallen, aber ich gehe meistens wertneutral auf die Menschen zu, ohne
böse Hintergedanken, um wirklich etwas zu erfahren. Das öffnet die
Menschen.
FUNKTIONIEREN KAMERA UND MIKRO DABEI ALS EINE ART
SCHUTZSCHILD?
Das könnte man denken, funktioniert jedoch genau andersrum. Durch die
Kamera machst du dich eher öffentlich und wirst zur Zielscheibe.
FINDEST DU MIT ALL DIESEN ERFAHRUNGEN IMMER NOCH, DASS
HAMBURG EINE WELTOFFENE STADT IST?
Ja, Hamburg ist sehr cool. Im Vergleich zu vielen anderen Orten ist Hamburg
unglaublich offen. Die Leute sind meinungsstark und sehr tolerant.
IM JUNI BRINGST DU EIN TRADITIONSREICHES TV POLITMAGAZIN
AUF DIE BÜHNE...
Ja wir bringen „Panorama – Die Show“ zum zweiten Mal auf die Bühne.
Tiefpolitischer Ernst mit Unterhaltungswert. Unser Thema diesmal lautet: „Frü-
her war alles besser“.
WIE BEREITEST DU DICH AUF SO EIN POLITMAGAZIN VOR?
Ich informiere mich generell sehr viel. Ich lese Zeitung, Internet und blicke
neugierig auf das Weltgeschehen. Mit einer gute Menge an Informationen,
sowohl tagesaktuell, als historisch, kannst du extrem gut auf das eingehen,
was andere sagen.
UND TROTZDEM GELINGT ES DIR IMMER DIE MENSCHEN ZUM
LACHEN ZU BRINGEN....
Unsere Lacher sind zumindest echt und nicht eingespielt. Die Leute kommen
zur Show, sind live dabei und ich möchte, dass sie auch live Spaß haben.
Diese gute Energie kann ich wiederum nutzen und darauf reagieren. Alles
Andere wäre Fassade, und damit habe ich es nicht so.
NOCH MAL ZURÜCK ZU DEINEN WURZELN. WARST DU ALS JUN-
GER SLAMMER POLITISCH?
Ja. Als ich mit den Slams anfing, waren die Texte der Künstler sehr politisch.
Das waren Veranstaltungen mit Leuten, die etwas sagen wollten, die etwas
verändern wollten und nicht das Ziel hatten, unbedingt immer lustig sein zu
wollen. Der Gedanke politisch zu sein, kommt in meinem Fall also tatsäch-
lich eher aus der Kunst heraus. Reine Unterhaltung war mir schon immer zu
wenig.
kampf-der-kuenste.deDer Kampf der Künste gehört zur Hamburger Kulturlandschaft wie die Elbphilharmonie oder das
Schauspielhaus. Die Poetry Slams füllen die größten Bühnen der Stadt und sind kontinuierlich
ausverkauft. Michel Abdollahi ist Mitbegründer der Veranstaltungsreihe „Kampf der Künste“ und
führt auch heute noch regelmäßig durchs Programm. Im Juni unter anderem wieder beim Stadion
Slam im St. Pauli Stadion. Außerdem bringt der 35-jährige mit „Panorama - Die Show“ ebenfalls
im Juni ein altehrwürdiges Politmagazin wieder auf die Bühne.