INTERVIEW |
KULTUR
PISTE.DE035
© Marcel Schaar
DANN IST ES SICHER NICHT LEICHT FÜR
DICH EINE AUSWAHL FÜRS ALBUM ZU
FINDEN?
Ja, irgendwann muss man das dann halt auf den
Weg bringen und abarbeiten. Ich bin kein Fan
davon im Studio zu arbeiten aber das gehört halt
auch dazu. Am liebsten wäre mir immer einfach
zu schreiben und dann fertig raus. Dieser ganze
technische Prozess der stört mich eigentlich eher,
aber der gehört halt auch dazu.
GIBT ES EINEN ORT AN DEM DU BESONDERS
GERNE SCHREIBST UND KOMPONIERST?
Ja, es gibt tatsächlich einen Ort. Das ist ein Hotel
in St. Peter Ording. Da habe ich auch die letzten
zwei Alben geschrieben. Das ist direkt am Strand.
Ich bin da komplett alleine und kann alles mitneh-
men was ich so brauche. Auch mein kleines mobi-
les Studio und meine Instrumente. Das Gute ist, es
gibt da nicht soviel Ablenkung wie in der Stadt.
Ich wohne ja sonst im Schanzenviertel, da hört
man eigentlich immer Geräusche von der Straße
und fragt sich, geh ich jetzt noch mal raus unter
Leute? In St. Peter Ording hat man das halt nicht.
Der Strand da ist so groß, das es dir immer vor-
kommt, als wärest du alleine da. Da kann man
sich schön die Birne durchpusten lassen und das
mache ich eigentlich viel zu selten. Kann ich nur
empfehlen!
IM RAHMEN DEINER LETZTEN TOUR HAST DU
ALLEINE 150 KONZERTE GESPIELT. NIMMST
DU DIR AUCH MAL EINE RICHTIGE AUSZEIT?
Ja, das hab ich nach der „Alles brennt Tour“ mal
gemacht. Ich war 5 Wochen auf Reisen. Erst in
Thailand mit zwei Freunden, bin dann noch eine
Woche alleine dort geblieben und dann als Back-
packer nach Australien weitergereist. Eigentlich
macht man das ja eher nach der Schule so mit
18, 19 Jahren, jetzt war ich natürlich überall der
Älteste in den Hostels...
NACH DER SCHULE HAST DU SO ETWAS
ALSO NIE GEMACHT?
Es gibt so einige Dinge, die ich irgendwie ver-
passt habe. Ich dachte halt wenn ich nicht sofort
nach Hamburg gehe und die Sache mit der Musik
durchziehe, dann bekomme ich nie wieder eine
Chance dazu. Da muss man erst 35 Jahre alt wer-
den um zu erkennen, dass das alles gar nicht so
wild ist und man das alles gut hätte schon früher
machen können. Aber ich hol es halt jetzt nach.
WIE KAM ES DENN DAZU, DASS DU MIT
SAMY DELUXE ZUSAMMENGEARBEITET
HAST?
Wir hatten uns schon öfter mal auf Events getrof-
fen und ich bin schon immer ein riesen Fan von
ihm gewesen. Ich bin mit deutschsprachigen Hip
Hop aufgewachsen. Ich hatte diesen Song
„Weiße Tauben“ angefangen zu schreiben und
merkte sehr schnell, das ich so einen politischen
Text nicht mit erhobenen Zeigefinger schreiben
will, das fiel mir irgendwie schwer. Bei Samy
klingt es immer cool, wenn er über politische The-
men spricht, nicht so Oberlehrerhaft wie ich finde.
Also hab ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen
könnte mit mir zusammenzuarbeiten. Dann bin ich
mit dem Refrain und allem was ich bereits hatte zu
ihm, er fand es mega und wir haben an einem
halben Tag den Song fertig gebastelt. Für mich ist
das ein ganz wichtiger Song auf dem neuen
Album, da er mein erster politischer Aufschlag ist.
KLINGT NACH EINER GUTEN ZUSAMMEN-
ARBEIT...
Ich habe Samy als eine unglaublich kreative
Quelle wahrgenommen. Das fand ich wirklich
beeindruckend mit so jemanden zusammenzuar-
beiten und wenn es dann noch der Hero aus der
eigen Jungend ist , ist das natürlich doppelt gut.
Für mich ist es immer noch der Beste. Der beste
Freestyler und der beste One Take Rapper
sowieso. Cooler Typ.
DER SONG WEISSE TAUBEN STELLT JA DIE
FRAGE , WIE AUS DER GENERATION ENT-
SCHLOSSENER ATOMKRAFT- UND KRIEGS-
GEGNER DER HEUTIGE ZUSTAND DER WELT
ENTSTEHEN KONNTE. WÜRDEST DU VON
DIR SELBST SAGEN, DASS DU EIN UMWELT-
BEWUSSTER MENSCH BIST?
Auf jeden Fall. Ich bin ja nach wie vor Pfadfinder
und bin darüber natürlich sehr früh mit der Natur
in Kontakt gekommen. Außerdem komme ich ja
aus einem kleinen Dorf mitten im Wald, bei uns zu
Hause war das auf jeden Fall immer ein Thema.
Insofern glaube ich schon, dass ich sehr bewusst
mit der Umwelt umgehe. Ich bin aber nie groß auf
Demos gegangen. Auch das hole ich jetzt erst
nach. Zum Beispiel finde ich gerade diese „Pulse
of Europe“ Bewegung total spannend und schaue
immer wo die gerade auf die Straße gehen. Lei-
der sind die in der nächsten Zeit nicht in
Hamburg.
APROPOS DORF. WIE BIST DU DENN EIGENT-
LICH VOM RHEINLAND AUS IN HAMBURG
GELANDET?
Mit 17 hat mich mein erster Produzent nach Ham-
burg eingeladen, nachdem er mich auf einem
Dorffest spielen sah. Und dann waren wir auf
einem Konzert der Band Soullounge - ehemals
Cultured Pearls. Der Sänger der Band war Roger
Cicero. Ich hab sie gesehen und zu meinem
damaligen Produzenten gesagt, da würde ich
auch gerne mal mitsingen. Naja und fünf Jahre
später war ich dann selbst der Sänger der Band.
Ich habe also mehr oder weniger Roger abgelöst,
weil der dann mit seiner eigenen Musik loslegte.
EINE ANDERE STADT KAM NICHT IN FRAGE?
An diesem Abend bin ich mit dem Zug von Lüne-
burg aus nach Hamburg rein gefahren und war
schockverliebt in diese Stadt. Dieser Blick, den
man vom Zug aus auf den Hafen, die Lom-
bardsbrücke und die Binnenalster hat, der ist ein-
fach so schön. Das ist einfach so schön. Hamburg
hat so einen Vibe, ich finde wenn man hierher
kommt merkt man einfach, das ist eine weltoffene,
bunte, liberale Stadt ist und da wollte ich einfach
hin.
KLINGT FAST EIN BISSCHEN VERLIEBT...
Ja, ich sag das auch immer Menschen aus ande-
ren Ländern. Wenn ihr nach Deutschland geht „Ihr
müsst nach Hamburg“. Vergesst München, ver-
gesst Köln. Man ist halt auch so stolz auf diese
Stadt, weil sie einfach soviel zu bieten hat. Jeder
ist willkommen, jeder kann machen was er will
und du wirst nicht schräg angeguckt.
WAS WÄRE DENN DEIN PERSÖNLICHER
HAMBURG TIPP. WO GEHST DU GERNE HIN?
Die beste Pizza der Stadt gibt es meiner Meinung
nach in der Schanze bei Sessanta Due. Das wäre
so ein Insidertipp den ich noch rausgeben würde.
Ansonsten will man von seinen Geheimtipps natür-
lich immer, dass sie auch geheim bleiben...
IM NOVEMBER SPIELST DU IN DER BARCLEY
CARD ARENA. DIE HALLEN WERDEN ALSO
IMMER GRÖSSER...
Ich will immer vor so vielen Menschen wie mög-
lich spielen. Ich will ja auch, dass meine Musik
gehört wird. Wenn dann so etwa 10.000 Men-
schen mitsingen, das macht schon etwas mit dir.
Die Aufgabe wird natürlich sein, trotzdem eine
gewisse Intimität zu schaffen. Den Leuten das
Gefühl zu geben, dass das was der da heute
Abend macht, hier und jetzt einzigartig ist. So ist
es aber auch, ich lasse mir da schon soviel Frei-
raum, dass sich jedes Konzert auch für mich vom
anderen unterscheidet. Ich gehe auch nach wie
vor ins Publikum, egal wie groß
die Halle ist. Ich
würde sagen, die Aufgabe der man sich stellen
muss, wenn man in diese großen, kalten, seelen-
losen Hallen kommt ist: Man muss ihnen eine
Seele geben.