piste Lübeck September 2016 - page 8

CITY NEWS
| PORTRAIT
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PISTE.DE
Fotos: Christoffer Greiß, BeA
Singender Kultladen-
Inhaber mit Liebe zu Kunst
und Stil, der den New
Wave und Slam Poetry
nach Lübeck brachte
„MR. POPKULTUR”
TILO STRAUSS
...MÖCHTE DEM KULTURELLEN
KANON DER HANSESTADT EINE
FACETTE HINZUFÜGEN
Aufgesogen hat Strauß sowohl Pop
als auch Kultur bereits von frühester
Kindheit an. Hineingeboren in einen
grundsoliden Beamtenhaushalt hat-
ten beide Eltern starke Verbindungen
zu Kunst in all ihren Formen. „Meine
Mutter malte und schrieb, mein Vater
liebte Musik – und es lagen immer
und überall Stifte rum.“ Die Eltern,
nicht streng und immer am Zeitgeist
orientiert, ermöglichen dem Einzel-
kind eine glückliche Kindheit.
Auf Schulbesuch folgt der traditio-
nelle Eintritt in die Beamtenlaufbahn,
mit 22 Jahren bereits „auf Lebens-
zeit“ im Staatsdienst. Tagsüber
Anzug, aber abends wird gelebt.
Unter anderem in seiner 12-Mann-
Band, die es zu einigem Erfolg
bringt. Seit 15 Jahren singt er bei
„Goldmother“ und ist Teil des Duos
„Drunken Angel“. Er beendet seine
Beamtenlaufbahn und konzentriert sich auf das Le-
ben. Es ist die Zeit der Hausbesetzungen; als Punk
und New Wave Einzug in Lübeck halten. Strauß
lernt Wolfgang Marohn kennen. Es beginnt eine
jahrzehntelange Freund- und Partnerschaft, die in
der Gründung des legendären „Lono“ in der Hüx-
straße einen Höhepunkt findet. Dort gibt es alles
„Szenige“, für das man bis dahin nach Hamburg
oder Berlin musste – bis hin zu Designermode von
Westwood oder Paul Smith. „Eine
großartige Zeit. Mir war es nie ge-
nug, nur zu konsumieren. Ich musste
immer das, was mir gefiel, zum Le-
bensgefühl machen!“
Nach erfolgreichen Jahren kommt
Ende der Neunziger das Aus und
Strauß orientiert sich neu. 2001 auf
einer Reise durch die USA erlebt er
das erste Mal „Poetry Slam“, die hohe
Kunst des vielfältigen Dichterwettstreits
– und ist begeistert. „Tausend Men-
schen konzentrieren sich auf einen
Einzigen, der es versteht, die Menge
ohne jegliches Equipment und nach-
haltig zu berühren.“ Die ersten Anfän-
ge in Lübeck versickern. „Es gab kein
Internet, eine Vernetzung war schwie-
rig“, lacht Strauß, der als Händler von
Keramiken und Objekten der 50er bis
70er-Jahre international tätig ist.
Mittlerweile hat sich Poetry Slam mit
-zig „Unterarten“ und als Kunstform etabliert, Strauß’
Verdienst, der zudem 2012 den „Verein zur Förde-
rung angewandter Popkultur“ gründete. Wie auch
bei seinem Projekt „Wolkenkuckucksheim“ sollen
(junge) Talente in Musik und Literatur gefördert wer-
den. Als konkretes Vorhaben ist bspw. eine feste
Spielstätte auf der Nördlichen Wallhalbinsel ge-
plant. „Ich liebe Lübeck und möchte dem Kulturkanon
eine zeitgenössische Facette hinzufügen!“ BeA
Wir sitzen bei Apfelsaftschorle im großen gemüt-
lich-stylischen Wohn-, Ess-, Büro-, Musik- und Ate-
lierzimmer in einem Lübecker Hinterhaus in St. Jür-
gen. Umgeben von (eigener) Kunst an den Wänden,
Keramiken auf Regalen und dicken Kunstbüchern auf
dem Boden sprechen wir mit Slam Master Tilo Strauß
über (Pop-)Kultur in Lübeck und auf der Welt. Und
warum ihn diese seit Jahrzehnten fasziniert.
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