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PISTE.DE
night
life
|
NACHTGESCHICHTEN
Anno 2006, nach einer Nacht in Hamburg, wo wir vor einem
Haufen Wahnsinniger bis halb acht morgens unsere Lieb-
lingsschallplatten aus den 90ern gespielt hatten, buchte uns
ein begeisterter Schwabenländler mit den Worten: „Kommt
nach Stuttgart und macht da genau das, was ihr heute Nacht
hier gemacht habt. Die Leute bei uns flippen aus.“ „Gute Sa-
che“ dachten wir uns und saßen schon wenige Wochen spä-
ter mit vier randvollen Plattenkoffern im Flugzeug Richtung
Stuggi in freudiger Erwartung einer Abrissnacht im Süden.
Die erste Ernüchterung trat ein, als dort - anders als verein-
bart - ein Mischpult stand, mit dem man locker ganze Or-
chester hätte abmischen können. Wie üblich erschien auch
schon bald der erste Gast, der schlaue Tipps bezüglich der
Musikauswahl parat hatte und fortlaufend irgendetwas mur-
melte, das wie „Dörrsauf“ klang. Wir nickten, lächelten und
schauten uns anschließend fragend an. Weitere Gäste folg-
ten, wir nickten wieder, lächelten weiter, doch langsam be-
schlich uns das komische Gefühl, hier etwas deplatziert zu
sein. Auf Nachfrage klärte uns der Chef des Clubs schließ-
lich darüber auf, dass wir wohl die Ersten wären, die 90er
Rap-Platten in seinem Laden spielen würden und dass das
Publikum hier für gewöhnlich aktuelle Rapmusik aus Ameri-
kas Süden bevorzuge (Ahhh… Dörrsauf = Dirty South).
Heute, wo jeder seinen Laptop mit zigtausend Liedern dabei
hat, lächelt man darüber natürlich nur noch müde, damals
war das ein Schlag ins Gesicht. So standen wir da mit jeder
Menge Platten, die wohl niemand so recht
hören wollte, und ein Blick auf die Uhr ver-
riet, dass es anscheinend noch eine lange,
anstrengende Nacht werden würde.
Aber natürlich wollten wir uns nicht einfach
so geschlagen geben. Also erhöhten wir
zunächst die Zufuhr von Geist und Körper
betäubenden Getränken und machten uns
einen großen Spaß daraus, die netten
afroamerikanischen GIs, die circa 70 Prozent des männli-
chen Publikums ausmachten und in aller Regel einen Bud
Spencer ähnlichen Oberarmumfang vorweisen konnten, mit
ihren Vorschlägen direkt an den über-ambitionierten Veran-
stalter weiterzuleiten, der dies - im Gegensatz zu uns - alles
andere als witzig fand. Ironischerweise kehrten viele der Gä-
ste später zu uns zurück und be- danken sich für die von uns
bescherte musikalische Zeitreise. Als wir den Club morgens
bei strahlendem Sonnenschein verließen, fanden wir noch
den Flyer zu der Party auf dem wirklich stand: „TOPDAWGZ
- die Speerspitze des deutschen Crunk Movements“ - FAIL!
Ein anderes Mal waren wir mit zwei anderen DJ-Teams für
eine norddeutsche Großraumdisco gebucht. Wir kamen dort
mit ein paar Freunden im Schlepptau an, unsere Plattenkof-
fer gut sichtbar auf alle Hände verteilt, und fragten am Ein-
gang nach, wo wir denn hin müssten. Ein Mitarbeiter führte
uns allesamt in einen Raum hinter den Kulissen und merkte
freundlich an: „Hier könnt ihr euch umziehen. Wir sagen Be-
scheid, wenn es für euch losgeht.“ Wir wechselten verstörte
Blicke und entgegneten ihm nach kurzer Bedenkpause, dass
wir eigentlich nicht mehr die Absicht hätten, uns umzuziehen,
sondern viel lieber auf unseren Floor und dann auch ganz
schnell an die extra eingerichtete „VIP“-Bar gehen würden.
„Ihr seid DJs? Ihr seid nicht die Gogo Tänzer?“ Peinliche Stil-
le - dann folgten brüllendes Gelächter, vor Lachen fast kol-
labierende Freunde und Tränen der Schadenfreude. „Nein,
wir sind nicht die Gogos!!!“
Weitere Highlights dieses Abends waren zum einen ein
sehr bekannter deutscher Techno-DJ, der neben uns an
der Bar sitzend ein Glas Whiskey-Cola mit den Worten:
„Da ist zu viel Whiskey drin!“, zurückgehen ließ, was uns
direkt den nächsten kollektiven Lachanfall bescherte. Zum
anderen war da ein sehr angetrunkener Kerl, der hart-
näckig (aber erfolglos) probierte, volle Gläser in seinen
Hosentaschen an der Security vorbei aus dem VIP-Bereich
zu schmuggeln. Nachdem er die Sinnlosigkeit seines Vor-
habens begriffen hatte, ging er (komplett nasse Hose im
Schritt inklusive) zu einem Tisch, an dem es sich eine wei-
tere Größe aus dem Technobereich mit zwei sehr hüb-
schen jungen Damen gemütlich gemacht hatte, und brüll-
te entrüstet: „Warum kriegt ihr Techno-Typen immer die
geilsten Tussen?“ Das war dann Lachkrampf Nummer 3!
Eine leicht demütigende, aber unbezahlbare Nacht.
TOPDAWGZ
In den Köpfen vieler ist das Leben eines DJs geprägt von tobenden Menschenmassen,
literweise Champagner und Hotel-Aftershow-Exzessen. Wirklich gelogen ist das nicht im-
mer, doch absolut jeder DJ kennt auch die andere Seite der Medaille. Die TOPDAWGZ
haben uns von zwei „ganz besonderen“ Nächten erzählt.