piste Hamburg November 2015 - page 24

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LIFESTYLE
| INTERVIEW
Tod, Sterben – ein Moment, in dem alles still zu stehen scheint, an dem es für Trauer oft
keineWorte findet und an denen man sich verloren vorkommt. Beerdigungsinstitute bie-
ten Trost meist nur von der Stange, eine Trauerbegleitung wie es Madita van Hülsen und
Anemone Zeim jedoch bieten, ist in Hamburg einzigartig. Es geht umErinnerungen, Trau-
erkommunikation und ein besonderes “Coaching” für Hinterbliebene.
PISTE HAMBURG: WIE KAMT IHR AUF DIE IDEE, EINE AGENTUR ZUGRÜN-
DEN, DIE SICH DEM SENSIBLEN THEMA TODWIDMET?
MADITA:
Wir warenNachbarn in einemHaus auf St. Pauli. Und bei einem Treffen, bei
dem wir uns eigentlich über ein anderes berufliches, gemeinsames Projekt unterhalten
wollten, haben wir dann die ganze Zeit über das Leben, den Tod und das Sterben ge-
sprochen.Wir haben uns gewundert, dass zwei Frauen Anfang dreißig sich so offen und
gut über das Thema unterhalten können und waren positiv überrascht von diesem Tref-
fen, dawir mit anderenMenschen noch nie so offen über diese speziellen Themen reden
konnten. In weiteren Gesprächen haben wir uns dann ein inhaltliches Konzept überlegt,
um eine Basis zu haben und darüber hinaus haben wir uns zusätzlich zur Trauerbeglei-
terinnen ausbilden lassen. Seit Anfang des Jahres haben wir nun die Agentur “Vergiss
Mein Nie”.
HAMBURG IST DIE HOCHBURG DER TRAUERBEGLEITER. WIE UNTER-
SCHEIDET IHR EUCH VON ANDEREN?
ANEMONE:
Wir bieten vor allem Einzelbegleitung und kreative Ideen und deren Um-
setzung an, umdie ganz individuelle Erinnerung für die Hinterbliebenen festzuhalten. Da-
raus hat sich auch unsere Philosophie heraus kristallisiert: “Du bist erst tot, wenn sich nie-
mand mehr an dich erinnert.” Es kommen zu uns viele Menschen in unserem Alter, die
das erste Mal mit dem Tod in Berührung kommen und wir begleiten die Trauernden wie
in einemCoaching, geben Impulse und helfen, die Trauer von einem schrecklichenMons-
ter in einen friedlichenWegbegleiter zu verwandeln. Das Trauern hört ja leider nicht auf,
die Trauer kann sich aber mit der Zeit verändern. Madita sagt oft, wir sind so etwas wie
der “ADAC”, das Starterkabel, wir helfen, neue Lichtpunkte im Leben zu setzen.
MADITA:
Die Trauer sind die meisten nicht mehr gewohnt. Das kennt man aus sozialen
Netzwerken: alles, was nicht happy und lustig ist, nervt die Leute undwird ausgeblendet.
Es wäre schön, wenn wir da gesellschaftlich einen angstfreieren Umgang mit dem The-
ma finden.
WAS IST WICHTIG IMUMGANGMIT EINEM TRAUERNDEN?
MADITA:
Zuhören. Man muss nicht immer gleich etwas sagen, um etwas zu bewirken.
UndWeinen ist auch wichtig, das gehört dazu. UnserWunsch ist es, dass man Freunde,
die trauern, auch weiterhin zum Essen einlädt - auch zu Partys. Das heißt ja nicht, dass
sie nicht kommen, aber sie nicht einzuladen, das ist viel schlimmer. Und immer wieder
nachfragen, nicht jeden Tag, aber vielleicht einmal die Woche, ob derjenige etwas
braucht. Auchwenn er wiederholt ablehnt, irgendwannwird er das Angebot sicher dank-
bar annehmen. Und auf keinen Fall die Straßenseite wechseln, denn Ausgrenzung ist
meist noch schlimmer. Lieber ehrlich sagen, dass man vielleicht keineWorte findet, oder
jemanden in den Arm nehmen, wenn es angebracht ist.
EURE SCHÖNSTE ERINNERUNG?
ANEMONE:
Wenn mir Menschen eine Erinnerung schreiben oder wir eine Erinnerung
übergeben, die wir gestaltet haben.
MADITA:
Die Stimmgabel meines Schwiegerpapas, die ich zu einer Kette habe machen
lassen. So kann ich jedes Mal, wenn jemand die Kette sieht und mich anspricht, über ihn
sprechen.
VERGISS MEIN NIE
MADITA VAN HÜLSEN & ANEMONE ZEIM IM INTERVIEW
vergiss-mein-nie.de
Madita van Hülsen (links) & Anemone Zeim (rechts)
Credit: Ilona Habben
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